Du fragst – ich antworte: Wie macht man das denn praktisch?
Da es auf meinem BLOG schon zu den allen wichtigen Themen rund um den Welpen und die Welpenerziehung Beiträge mit Tipps und Trainingsanleitungen gibt, habe ich mir überlegt, immer mal wieder eine von den vielen Fragen, die mir täglich gestellt werden, zu beantworten.
Manuela fragt
..mal ne Frage nach einem : WIE DENN PRAKTISCH ?
…..in etlichen „Foren“ und Beiträgen, die sich selbstverständlich alle im Bereich Hunde-Erziehung mit positiver Verstärkung beschäftigen, lese ich oft, „dem Hund Sicherheit“ vermitteln, ihn „bestärken“, „zeigen, dass der Mensch die Aufgaben übernimmt“ usw…..aber was kann man aktiv oder passiv dafür trainieren ?…..damit mein Hund sich sicher fühlt und nicht permanent angespannt ist……
Danke für diese Frage
Ehrlich, ich finde diese Frage wirklich total super. Denn genau das frage ich mich auch immer, wenn ich so Antworten bekomme wie
- „Da musst du die Bindung aufbauen.“ oder
- „Du musst ein guter Rudelführer sein.“ oder
- „Du musst ihm zeigen, dass er keine Angst haben muss.“
- usw.
Ja, WIE mache ich das denn? Solche Aussagen sind letztlich wenig hilfreich, denn wenn der Hundehalter wüsste, wie genau er das machte, würde er wahrscheinlich gar nicht sein Problem haben.
Was gibt Sicherheit?
Mein „Hobby“ neben der Welpenerziehung sind schwierige Hunde aus dem Tierschutz – und hier besonders die Angsthasen, die durchaus auch gerne mal nach vorne gehen. Teilweise bekomme ich Hunde zu mir, deren einziges Bestreben es ist, sich so weit die Umstände es zulassen, von allen Menschen zu entfernen.
Man kann sie nicht anfassen, anleinen, ja, man darf sie manchmal nicht mal anschauen, dann sind sie weg.
Ich zähle einfach mal auf, was ich tue, um solchen Hunden Sicherheit zu geben, Vertrauen aufzubauen und wie ich sie „bestärke“. Letztlich gelten meiner Meinung nach alle diese Faktoren auch für den „ganz normalen“ Familienhund.
Notwendiger Raum
Ich gebe dem Hund so viel Raum wie möglich. Das meine ich nicht unbedingt in Quadratmetern, sondern eher in Distanz zum Menschen. Es gibt durchaus Hunde, die es gerne eng mögen – aber nicht aushalten, wenn ein Mensch mit im Raum ist oder dieser ihn ansieht, anspricht oder gar versucht, anzufassen.
Der Hund kann jederzeit entscheiden, wie weit er sich entfernt. Natürlich ist er gesichert durch Zaun, Tür oder lange Leine. Aber ich zwinge ihn niemals, sich mir zu nähern oder versuche, ihn zu streicheln oder so etwas.
Damit gebe ich solchen Hunden die Sicherheit, dass sie jederzeit ausweichen können, aber gerne auch näher kommen können, wenn sie sich trauen. OHNE Gefahr zu laufen, dass ich sie antatsche oder sonst was versuche.
Tipp 1: Gib dem Hund genügend Raum. Bedränge ihn nicht.
Eigenes Tempo
Die Hunde dürfen bei mir entscheiden, wie lange sie mitarbeiten und auch, wie schnell sie sich mehr zutrauen. Dabei helfe ich ihnen natürlich durch genügend Raum – das hatten wir gerade – und dadurch, dass ich sie für das belohne, was ich gerne haben möchte.
Nehmen wir an, ich arbeite daran, dass der Hund, der sich jetzt max. auf 10 Meter an mich heran traut, näher zu mir kommt, dann gestalte ich das so, dass ich jedes Stückchen näher kommen mit einem Lobwort – oder dem Clicker – markiere und die richtige Belohnung ist z.B. ein Leckerli, das ich so weit werfe, dass der Hund sich in der absolut sicheren Zone befindet – also mind. 10 Meter von mir weg.
Ich locke den Hund also nicht und bringe ihn unter Umständen in den Zwist, das Leckerli zu wollen, aber nicht hin zu können, weil da auch ich bin. Stattdessen warte ich, bis er sich ein bisschen nähert. „Super“ und Belohnung weit weg. Wie schnell der Hund dann näher kommt, kann er immer selbst entscheiden. Ich entscheide, was ich belohne. Und natürlich erhöhe ich mit der Zeit die Anforderung. Aber immer so, dass der Hund mein Spiel mit spielt.
Und ich glaube, auch hier haben wir wieder einen Faktor, der bei der Hundeerziehung nicht beachtet wird, der aber immens viel Sicherheit gibt. Irgendwie soll es immer schnell gehen und wenn es nur ist, weil der Nachbar gesagt hat, dass der das in dem Alter aber können muss.
Tipp 2: Lass deinen Hund in seinem eigenen Tempo lernen. Und glaube mir, ohne Druck wird er schneller lernen.
Klarheit
Klarheit meine ich in zweierlei Hinsicht. Einerseits solltest du dir darüber klar sein, was der Hund tun soll. Ganz häufig weiß nicht mal der Mensch, was er vom Hund erwartet, aber der Hund soll das richtige tun. Das ist extrem schwierig und verunsichert stark.
Ich überlege mir genau, was ich haben möchte. Bei extrem menschenscheuen / misstrauischen Hunden ist eine meiner ersten Übungen der Handtarget, d.h. der Hund soll mit der Nase an meine Hand stupsen. Dabei ist für mich ganz klar, wie das am Ende des Trainings aussehen soll. Natürlich muss ich auf dem Weg dahin Zwischenschritte belohnen. Aber ich ich weiß, wo ich hin möchte und was mein Ziel ist. So weiß ich auch, was ich belohne und was ich nicht belohne. Und für den Hund wird sehr schnell klar, was sich für ihn lohnt und was nicht. Ich überlege mir, wo meine Hand ist, wie meine Körperhaltung ist, wie ich belohne, etc. – also Klarheit für mich selbst.
Häufig denken sich die Menschen, dass es einfacher für den Hund ist, wenn es mehr so larifari ist, was der Hund tun soll. In Wirklichkeit macht es unsicher. Weil der Hund nie so genau weiß, was denn nun „richtig“ ist.
Ganz simples Beispiel: Der Hund wird auf seine Decke geschickt. Das eine Mal ist es egal, wann er wieder aufsteht, das andere Mal soll er da bleiben, bis sein Mensch ihn wieder „frei“ gibt. Wann ist was dran? Woher soll der Hund das wissen? Einfacher für den Hund ist, ganz klar zu üben: Decke heißt, geh auf deine Decke, leg dich dort hin und bleib dort liegen, bis ich dir etwas anderes sage, egal, wo die Decke liegt und was sonst auf der Welt passiert.
Also zunächst mal Klarheit für sich selbst gewinnen: Was genau erwarte ich eigentlich von meinem Hund!
Und klar sein beim Training und das belohnen, was man haben möchte und nicht erst etwas anderes üben, um es dann mühsam wieder zu korrigieren.
Ich staune immer wieder über unsere Hunde und was sie so alles lernen – obwohl wir Menschen es ihnen wirklich nicht leicht machen.
Tipp 3: Sei klar – zunächst dir selbst und dann dem Hund gegenüber -, was du willst. Vielleicht schreibst du es mal ganz genau auf, so wie bei dem Beispiel mit der Decke.
Führung
Auch, wenn dieses Wort in unseren Gefilden häufig einen etwas faden Beigeschmack hat, finde ich, dass es Aufgabe des Menschen ist, seinen Hund zu führen. Das hat nichts mit Bedrohen, an der Leine herumrucken oder Unterwerfen zu tun – im Gegenteil.
Ich vergleiche das gerne mit einem Bergführer und habe dazu eine Podcast-Episode gemacht, die du dir gleich hier anhören kannst.
Für mich gehört dazu auch, dass ich dem Hund einige Entscheidungen abnehme. Ich würde ein 3jähriges Kind auch nicht entscheiden lassen, ob es mit dem Brotmesser hantiert oder nicht.
Praktische Beispiele:
- Ich gehe zur Haustür und übernehme das Empfangen von Besuch
- Ich entscheide, dass mein Hund nicht einfach von fremden gestreichelt wird und beschütze ihn
- Ich sage meinem Hund, dass es bei Begegnungen eine tolle Idee ist, den Handtarget zu machen
- …
Ich freue mich immer, wenn ich es geschafft habe, dass so eine Angsthund sich hinter mir versteckt, wenn uns unterwegs etwas „Gruseliges“ begegnet. Dann weiß ich, dass er mir vertraut und ich ihm Sicherheit gebe.
Tipp 4: Nimm deinen Hund an die „Pfote“ und führe ihn durch die Welt.
Berechenbarkeit
So ein bisschen ist das wie Klarheit. Wenn du klar bist, bist du auch berechenbar. Aber es geht aus meiner Sicht noch ein Stück darüber hinaus.
Ich finde, Regeln können sehr hilfreich sein. Das bedeutet nicht, dass das ganze Leben durchreglementiert sein soll. Aber es hilft an manchen Stellen ungemein, wenn es ein paar Regeln gibt, die IMMER (!!!) – berechenbar – gelten.
Welche das sind, muss jeder für sich entscheiden und das kommt auch sicher immer auf die Lebensumstände und die eigene Einstellung an. Bei uns gibt es nicht sehr viele Regeln, aber da bestehe ich auf Einhaltung und das lernen Hunde extrem schnell.
Ich verrate hier mal einer meiner Regeln: Tür auf hat keine Bedeutung.
Komische Regel? Ganz einfach, ich hasse es – mal davon abgesehen, dass es auch gefährlich sein kann -, wenn ich eine Tür öffne und sie ist gerade mal einen Millimeter auf, dann wird man vom Hund über den Haufen gerannt, weil der da jetzt sofort durch muss. Deshalb gilt bei mir: Tür auf und durch die Tür gehen sind zwei völlig voneinander unabhängige Dinge. Wenn ich eine Tür öffne und ein Hund meint, er müsse da jetzt durch, kann er mich anschauen und dann sage ich okay oder jetzt nicht.
Natürlich muss man solche „Regeln“ erst mal üben, aber wenn einem das wichtig ist, geht das sehr schnell. Und dann wird es auch sehr schnell zur Gewohnheit. Man denkt gar nicht mehr drüber nach. Die Hunde auch nicht, sie schauen vollautomatisch zu mir und „fragen“.
Und ich glaube, da denken auch ganz viele Menschen – naja, sehr menschlich eben: Heute hat er ja Geburtstag. Da darf er mal den Braten vom Tisch klauen. Aber morgen natürlich nicht mehr. Damit tut man dem Hund keinen Gefallen, sondern wird unberechenbar.
Tipp 5: Sei berechenbar. Regeln sollte OHNE Ausnahme gelten. Das macht es für den Hund sicher und einfach.
Gemeinsames Tun
Ob man das jetzt Training oder Erziehung oder Gassigehen oder wie auch immer nennt. Wenn du etwas mit deinem Hund unternimmst – und ich meine wirklich etwas unternimmst – also mit ihm auch etwas machst, egal, ob Zuhause oder unterwegs und das für ihn positiv gestaltest, tust du immer etwas für die „Bindung“, den Vertrauensaufbau und gibst Sicherheit.
Natürlich ist wichtig, dass der Hund sich dabei wohl fühlt.
Für einen menschenscheuen Hund ist gemeinsames Tun zunächst meist überhaupt nicht positiv. Aber mit den bereits genannten Punkten kann man dafür sorgen, dass er sehr schnell sehr gerne mit macht.
Sorge dafür, dass das gemeinsame Tun mir dir Spaß macht, dass es deinem Hund gefällt und das er gerne mit macht. Letztlich ist egal, ob ihr durch den Wald lauft, Tricks übt oder einfach irgendwo sitzt und die Welt anschaut. Hauptsache, ihr beide fühlt euch wohl dabei.
Tipp 6: Beschäftige dich mit deinem Hund und sorge dafür, dass gemeinsame Aktivitäten so richtig Spaß machen.
Vermeide „Stempel“
Wenn du deinem Hund einen Stempel aufdrückst, z.B. „Terrier“, „nervös“, „stur“, „dickköpfig“, etc., nimmst du dir selbst und dem Hund alle Möglichkeiten. Er ist dann eben so, da kann man nichts machen.
Das ist natürlich auch bequem, denn dann kann man ja nichts machen. Der ist halt so.
Schau dir stattdessen an, was der Hund tut! In welchen Situationen verhält er sich wie? Was könnte man tun, damit er sich anders verhält. Viviane Theby sagt immer, es gibt 1000 Möglichkeiten, um ein Verhalten zu ändern. 500 davon sind tierschutzrelevant, die lassen wir weg. Dann bleiben immer noch 500 Möglichkeiten übrig. Das ist doch toll, oder?
Damit hast du immer eine Chance, etwas zu ändern, wenn du es nur möchtest. Und hey, ist es nicht toll, wenn dein Hund plötzlich etwas ganz klasse macht, weil du dir überlegt hast, wie du es so gestalten kannst, dass er es schaffen kann?
Das Wichtigste dabei ist eigentlich, dass auch du bereit bist, etwas anders zu machen. Denn man kann natürlich nicht erwarten, dass der Hund etwas anders macht, wenn man selbst immer dasselbe macht.
Tipp 7: Stempel deinen Hund nicht ab, sondern sei offen, schau dir das Verhalten an und überlege, was du tun kannst, um es zu ändern, wenn es dir nicht gefällt.
Fazit
Es ist eine tolle Frage, die nicht so einfach beantwortet werden kann. Und ich glaube nicht, dass es einzelne praktische Übungen gibt, sondern dass es ein großes Ganzes ist. Mit den oben genannten Tipps wird man auf jeden Fall dafür sorgen, ein verlässlicher Partner für seinen Hund zu werden.
Einzelne Situationen und wie man da jeweils ganz konkret reagiert, wird man niemals generell beantworten können, sondern muss sich immer die gesamte Situation mit allen Beteiligten ansehen.
Ich hoffe, der Beitrag konnte dir ein paar Ideen geben, worauf du achten solltest.
Claudia