Welpen erziehen mit Strafe hat Nebenwirkungen
Warum nicht stupsen?
Immer wieder fragen Welpenbesitzer: „Was ist denn so schlimm, wenn ich den Hund stupse oder zwicke? Das hat mir doch sogar ein Hundetrainer geraten!“
Letzteres ist traurig genug und sollte eigentlich längst der Vergangenheit angehören. Um dir klar zu machen, wieso ich darauf verzichte den Welpen und überhaupt JEDEN Hund mit Strafe zu erziehen, möchte ich heute die Leidensgschichte einer Kundin von mir erzählen. Sie hat mir netterweise erlaubt, von ihrem Fall zu berichten. Die Namen wurden alle geändert.
Eine wahre Geschichte
Als Julia endlich das Häuschen mit Garten hatte, sollte sich ihr lang gehegter Wunsch nach einem Hund erfüllen. Da Nachbarn einen „Aussie“ hatten, der super nett war, sollte es ein solcher werden.
Beim Besuch des Züchters mit den knuddeligen Welpen gab es natürlich kein Halten mehr. Und als der Züchter versicherte, dass ein Australian Shepherd der ideale Familien- und auch Anfängerhund ist und Julia nur dafür sorgen müsse, dass sie ihn überall mit hinschleppt, damit er sich gut entwickelt, war die Entscheidung klar.
Dann besser keine Welpenschule
Es gab keine Hundeschule in Julias Nähe. Deshalb besuchte sie mit Shadow – so hatte sie ihren kleinen Aussie genannt – die „Welpenstunde“ im Schutzhundeverein. In der „Welpengruppe“ tummelten sich um die 20 Hunde im Alter von 8 Wochen bis zu 8 Monaten und Shadow wurde gnadenlos überrannt. Als er Schutz bei seinem Frauchen suchte, wurde ihr gesagt, sie solle weggehen, da müsse er durch.
Dann musste Julia ihren Welpen an einen Baum anbinden und weggehen. Er sollte da erst mal 10 Minuten warten. Für Shadow brach eine Welt zusammen und er schrie, hing in der Leine und war völlig außer sich. „Das müsst ihr aber üben!“ war der einzige Kommentar. Ganz nebenbei: Das hat auch nichts damit zu tun, seinen Welpen zu erziehen. 😥
Es wurde nicht besser
Als Shadow 6 Monate alt war, wurde nicht mehr gespielt und er sollte zu den „Großen“ auf den Platz. Das Hinlegen wurde durch einen heftigen Tritt auf die Leine geübt, so dass der Junghund brutal auf den Boden geruckt wurde und wenn er nicht hörte, musste er im Nacken geschüttelt und – falls das nicht helfen sollte – auf den Rücken gelegt werden.
Shadow wollte schon gar nicht mehr aus dem Auto steigen, wenn Julia am Hundeplatz anhielt. Und da Julia sich dort genauso wenig wohl fühlte wie Shadow, kehrte sie dem Verein den Rücken zu.
Selbst ist die Frau
Julia beschloss, ihren Welpen auf eigene Faust zu erziehen. Sie kaufte sich Hundebücher und las zahlreiche – teilweise sehr widersprüchliche – Erziehungsratgeber, befolgte Tipps von anderen Hundebesitzern, aber irgendwie wurde es schlimmer und schlimmer.
„Es kann doch nicht so schwer sein, seinen Welpen zu erziehen!“ dachte sich Julia.
Vielleicht war die Idee der Nachbarin doch nicht so gut, den Hund nur ja immer frei laufen und auf jeden Fall zu jedem Hund hinsausen zu lassen. Und vielleicht war es auch nicht ideal, nach dem dreistündigen Spaziergang noch eine Stunde spielen mit dem Ball ins Programm aufzunehmen. Nur um Shadow danach noch zwei Stunden mit dem Nachbarshund toben zu lassen.
Abschalten unmöglich
Shadow kam immer weniger zur Ruhe. Im Gegenteil! Jetzt fing er auch noch damit an, Autos, Radfahrer und Jogger zu jagen. Und er begann, Besucher und Kinder anzuknurren und Julia zu beschützen.
An der Leine zerrte er wie ein Ochse, lief hin und her und pöbelte alles an, was ihm begegnete. Julia war mit den Nerven am Ende.
Hilfe durch eine Hundetrainerin
Julia sah ein, dass sie es alleine nicht schaffte, ihr die Bücher auch nicht weiterhalfen und suchte eine Hundetrainerin auf. Diese sagte ihr, dass es wichtig sei, dass Shadow immer hinter ihr laufe. Also musste Julia Shadow immer und immer wieder zurückschicken, damit er hinter ihr lief. Außerdem wurde Shadow kastriert, was sein Verhalten gegenüber anderen Rüden zumindest kurzzeitig besserte.
Sie trainierten viel an befahrenen Straßen und Orten mit Menschen und Hunden und Shadows Verhalten besserte sich zwar, er musste aber ständig kontrolliert werden, damit es funktionierte. So ganz toll gefiel Julia das auch nicht. Denn sobald sie Shadow nicht zurechtwies, lief er wieder vor ihr und hing in der Leine.
Umzug und neue Trainingsmethode
Aus beruflichen Gründen musste Julia umziehen, als Shadow 18 Monate war. Am neuen Wohnort befand sich eine Hundeschule! War das die Rettung?
Anfangs lief alles gut. Kleine Leinenrucke, ständige Richtungswechsel und massives Abdrängen beeindruckten Shadow zunächst so, dass er das Pöbeln vergaß und Julia war glücklich! Endlich eine Methode, die funktionierte.
Doch mit jeder Trainingsstunde kam das alte Verhalten nicht nur wieder durch, sondern verschlimmerte sich noch. Shadow wurde an der Leine zur reißenden Bestie. Er gebärdete sich wie ein Wilder und Julia konnte ihn kaum noch halten.
Die Trainer rieten daraufhin zum Zwicken in die Seite, was Shadow mit Beißen quittierte. Damit waren die Möglichkeiten auch hier mal wieder ausgeschöpft und das Ergebnis: Ein völlig gestresster, leinenaggressiver Hund, der auch noch schnappte, wenn ihm etwas nicht passte. Das war nun wirklich nicht Julias Ziel gewesen.
Nach einem Jahr, in dem sich Shadows Verhalten immer mehr verschlechtert hatte, wechselte Julia erneut die Hundeschule. Ein anderer Hundehalter, der ihr ganz entspannt mit seinem Hund begegnete, gab ihr den Tipp.
„Die Trainerin kriegt jeden Hund hin.“ sagte er. Da überlegte Julia nicht lange!
Verzweiflung pur
Julia kam zur ersten Gruppenstunde in die neue Hundeschule. Und tatsächlich – alle Hunde liefen wie am Schnürchen und gehorchten ohne Mucken. Nur Shadow nicht. Er flippte komplett aus, als ihm die anderen Hunde zu nahe kamen und Julia riss es fast von den Beinen, als er mit voller Kraft in die Leine sprang.
Bemerkung der Trainerin: „ Der Hund ist einfach nicht erzogen und hat es nie gelernt den Frust auszuhalten, wenn andere Hunde ihn bedrängen.“
Julia war geschockt und frustriert. Sie hatte sich soviel Mühe gegeben mit Shadows Erziehung. Hatte schon begonnen, als er noch ein Welpe war. Hatte die Tipps der Trainer befolgt und die Ratschläge in diversen Büchern. Und es war ja auch nicht so, dass Shadow nichts konnte. Ohne Ablenkung machte er alles und Zuhause verhielt er sich auch prima.
„Gewöhne ihn an einen Maulkorb und kommt in zwei Wochen wieder.“ wies die Trainerin Julia an und Julia tat, wie ihr geheißen.
Zwei Wochen später in der Hundeschule bekam Shadow den Maulkorb auf und ein Stachelhalsband an. Bei allen anderen Hunden funktionierte das prima. Nur Shadow machte mal wieder eine Ausnahme. Anstatt sich in sein Schicksal zu ergeben, versuchte er jetzt, ernsthaft zu beißen. Dank Maulkorb gelang es ihm nicht – aber er war nur noch gestresst und blockierte komplett. Jetzt ging gar nichts mehr.
Nicht nur Shadow – auch Julia entwickelte geradezu Panik vor dem Hundeplatz. Es wurde von Mal zu Mal schlimmer. Und dann sagte die Trainerin: „Der Hund braucht jemanden, der ihm mal richtig zeigt, wo es lang geht. Sie sind zu lieb für den Hund. Er ist eine Gefahr und schwer vermittelbar. Am besten lassen Sie ihn einschläfern.“ 😯
Endlich ein Lichtblick
Julia war völlig geschockt! Das konnte doch nicht sein. Sie liebte Shadow und hatte doch alles getan um ihn zu einem netten Hund zu erziehen. Und jetzt DAS!!! Nein – das konnte und wollte Julia nicht akzeptieren.
Und zum Glück gab Julia nicht auf. Statt dessen verließ sie diese Hundeschule und konsultierte auf Empfehlung einer Bekannten eine Hundepsychologin.
Zum ersten Mal ging jemand tatsächlich individuell auf Julias Probleme ein. Die Hundepsychologin erfragte, was in den letzten Jahren passiert war und erstellte daraufhin einen individuellen Trainingsplan für Julia und Shadow. 🙂
Die Trainingsempfehlungen beruhten auf positiven Methoden und es gab auch Empfehlungen für den täglichen Umgang Zuhause. Julia arbeitete nach den Empfehlungen und langsam besserte sich Shadows Verhalten. Da er sich über einen langen Zeitraum sein aggressives Verhalten angewöhnt hatte, ging das natürlich nicht von heute auf morgen.
Aber Julia schöpfte wieder Hoffnung. Und machte sich zusätzlich zu den Empfehlungen der Hundepsychologin auf die Suche nach weiteren Möglichkeiten. Sie stieß im Internet auf das Training mit Clicker bei solchen Problemen und beschäftigte sich intensiv damit.
Shadow macht sich immer besser
Und endlich ging es wirklich voran. Shadow lernte nach und nach, wieder ruhig an Artgenossen vorbeizugehen, nicht jedem Auto hinterherzujagen und nicht zu versuchen, jedem Jogger in die Beine zu beißen, sondern sich stattdessen zu Frauchen zu orientieren.
Julia musste nicht mehr in Panik die Straßenseite wechseln und zu Unzeiten Gassigehen, in denen sonst keiner unterwegs war. Sie trainierte in Gegenden, wo auch andere Hunde unterwegs waren – allerdings immer angeleint. Und wenn mal einer ohne Leine war, geriet Julia nach wie vor leicht in Panik.
Sie vermied jeden direkten Kontakt mit Artgenossen, da sie Angst hatte, Shadow könnte jemanden verletzen. So vergingen fast 1 1/2 Jahre, ohne dass Shadow mit anderen Hunden rannte, spielte oder einfach nur mal schnupperte. Und dann war es endlich so weit.
Shadow durfte in einer entspannten Situation und unter Anleitung einer kompetenten Trainerin Kontakt zu anderen Hunden aufnehmen. Er hat es super gemeistert! Nach einer Weile fing Shadow sogar an, mit einem der anderen Hunde zu spielen. Was für ein Erfolg!
Du kannst es mit deinen Welpen besser machen
Warum ich diese Geschichte hier erzähle? Weil leider immer noch unter dem Deckmäntelchen der Dominanz mit Gewalt gearbeitet wird! Weil leider im Fernsehen fast immer nur mit aversiven – also für den Hund unangenehmen – Mitteln trainiert wird! Weil leider immer noch erzählt wird, dass man dem Hund nur mal zeigen muss, wer der Chef ist. Und weil der Hund es leider häufig mit dem Leben bezahlt, wenn es nicht funktioniert.
Wenn Verhalten unterdrückt wird – egal, ob mit physischer Gewalt wie Stachelhalsband, würgen, zwicken, Leinenruck, etc. oder mit psychischer Gewalt durch Abdrängen, Bedrohen, etc., -, besteht IMMER DIE GEFAHR, dass der Hund bei einer Gelegenheit, wo er sich traut, dann unverhofft zubeißt. Darüber sollte sich jeder, der so arbeitet, im Klaren sein. Da nützt es auch nix, hinterher zu sagen – der war unberechenbar. Es wurde ihm ja VERBOTEN, zu warnen oder zu flüchten. 🙁
Nicht jeder hätte es gemacht wie Julia – viele wären dem Rat gefolgt. Und Shadow würde heute nicht mehr leben. Ich durfte Shadow kennenlernen und er ist ein toller Hund – trotz all seiner negativen Erfahrungen. Er kommuniziert mit seinen Artgenossen, er lebt in seiner Familie und versteht sich auch bestens mit dem inzwischen auf die Welt gekommenen Nachwuchs. Auch draußen an der Leine ist sein Verhalten inzwischen sehr gut.
Welpen erziehen? Mach es von Anfang an besser
Die Tipps, die du auf diesen Seiten zum Welpen erziehen findest, beruhen alle auf positiver Verstärkung. Das heißt, der Welpe wird für richtiges Verhalten belohnt. Das macht allen Beteiligten viel mehr Spaß und hat keine Nebenwirkungen.
Man muss manchmal ein bisschen mehr nachdenken, denn zu trainieren braucht etwas mehr Gehirn als einfach ein Verhalten zu unterdrücken.
Wenn dir jemand eine Pistole an den Kopf hält und dein Geld und dein Handy haben möchte, kommst du dieser „netten“ Aufforderung doch sicher nach, oder? Aber fühlst du dich gut dabei? Wie geht es dir, wenn du den Menschen das nächste Mal siehst? Hast du großes Vertrauen zu ihm? Auch wenn dir vielleicht 100 € in die Hand drückt, weil er ein schlechtes Gewissen bekommen hat?
Denk einfach mal drüber nach und dann entscheide selbst, wie du deinen Welpen erziehen möchtest.
Und wenn du noch andere Welpenbesitzer kennst – oder solche, die es werden wollen, darfst du es gerne weitersagen. 😉
Claudia